#52 verschlafenes Chiang Rai

Zum ersten Mal läuft die Anreise nicht so glatt wie wir uns diese vorgestellt haben. Am Busbahnhof in Chiang Mai erfahren wir, dass der nächsten freie Bus erst in 4 Stunden fährt. Die Wartezeit überbrücken wir im Café und der Besorgung einer Yoga Matte. Jasmin will ihre neu gewonnene Fitness nicht so schnell wieder hergeben. So ärgerlich das im ersten Moment auch ist, so schnell vergeht dann aber doch die Zeit. Reisen erweitert nicht nur den Horizont, es schult auch die Geduld.

Chiang Rai liegt etwa 4 Stunden nördlich von Chiang Mai, ähnlicher Name, völlig andere Stadt. Diesmal scheinen wir einen Touristenbus erwischt zu haben, Einheimische sind hier nicht an Board. Der Komfort ist ein wenig gestiegen, der Preis ok. Die Fahrt führt uns hauptsächlich über Land und wir passieren die wunderbare Berglandschaft Nordthailands. Die Straßen sind kurvig, Jasmin ist ein wenig flau und der Auffahrunfall, den wir passieren, beruhigt kein bisschen. Wir schlängeln uns durch die Unfallstelle, vorbei an einem umgekippten Minivan, mehrere Autos sind einander gefahren, die Polizei regelt den Verkehr, Krankenwagen sind im Einsatz. 

Am Abend erreichen wir wie geplant unser Ziel. Eine weitere primäre auf der Reise ist unsere Unterkunft. Für die nächsten Nächte haben wir ein Hostel gebucht. Durch das Reisen zu zweit sind Doppelzimmer oft nicht deutlich teurer als zwei Betten im Hostel. In diesem Fall hat es sich nicht nur finanziell mehr als gelohnt. Ist es auch ein wenig schwer zu finden, ist es dafür sehr sauber, ruhig und die kleinen Bettkabinen sehr gemütlich. Wir sind zufrieden. Durch die unerwartet später Ankunft genießen wir das Hostelleben nicht allzu lang. Wir verstauen notdürftig unser Gepäck und steuern geradewegs auf einen Markt zu, den wir auf dem Hinweg entdeckt haben.

Der Markt entpuppt sich als echtes Highlight. Sind die Nachtmärkt oft als Sehenswürdigkeit der jeweiligen Stadt im Internet oder Reiseführer aufgeführt, sind sie sich doch alle sehr ähnlich. Gerade Dominik ist nach Chiang Mai ein wenig geheilt von den überfüllten, wuseligen Plätzen. „Same, Same“ eben. Hier steppt jedoch im wahrsten Sinne des Wortes der Bär. Auf einer Bühne wird lokale Musik gespielt und die Thais scheinen einen Volkstanz zu tanzen. Vor der zweiten Bühne sind zahlreiche Sitzreihen aufgebaut, wo Hunderte den Liedern einer Popsängerin lauschen. Die Bühne steht in Mitten eines Blumenparks. Die bunten Beete werden durch zahlreiche, aneinander gereihte Blumentöpfe imitiert. Die Lichterketten sorgen für ein unnatürliches, aber kitschiges Licht, übertroffen wird dies nur noch von der Kutsche Aschenputtels. Es gibt genügend Fotomotive für gestellte Touristenbilder. Asiaten scheinen das wirklich zu lieben.

Nicht nur unsere Ohren kommen auf ihre Kosten, der inzwischen knurrende Magen kann sich vor Abwechslung kaum entscheiden. Die Essensauswahl ist vielfältig wie nie. Unsere Entscheidung wohl leider auch so schlecht wie nie. Zumindest den Hauptgang haben wir bisher fast immer besser gewählt. Eine Lebersuppe von Dominik war wohl der einzige, deutlich größere Ausrutscher. Als Entschädigung gibt es reichlich Dessert. Eine Schoko-Banen-Waffel, Kokosnuss-Pfannenkuchen und eine köstliche Waffel, deren Bestellung noch für langes Gelächter bei uns sorgt. Die freundliche Verkäuferin bietet an den Waffelteig um eine von drei Zutaten zu ergänzen. Neben dem leicht zu erkennenden Mais haben wir die Wahl zwischen getrockneten Früchten und einem hellen Pulver. Auf die Frage hin, was denn dieses Pulver sei, sagt die Verkäuferin schlicht „Pork“. Dominik rutscht prompt ein ungläubiges „What?“ über die Lippen. Zögerlich versucht die Verkäuferin das Wort deutlicher zu sprechen: „Pork“, aber Dominik scheint einfach nicht zu verstehen: „What?“ Ganz langsam, deutlich und offensichtlich irritiert, ob sie das englische Wort wirklich richtig ausspricht, sagt sie erneut: „P-o-r-k“. Es ist viel mehr die Vorstellung von Schweinepulver in der Waffel die Dominik irritiert als das Verständnis des Wortes. Wir lehnen dankend ab. Die Waffel schmeckt auch ohne besondere Zutat. 

Früh am Morgen sitzen wir in einem einheimischen Bus auf dem Weg zum wohl bekanntesten Tempel Chiang Rais. Der Wat Rong Khun, besser bekannt als weißer Tempel, ist seit 1996 im Bau und bei weitem noch nicht fertig. Die gesamte Anlage soll 2070 stehen und macht sowohl von der Bauzeit als auch von der Liebe zum Detail der Sagrada Família in Barcelona Konkurrenz. Finanziert wird der Tempel allein durch Spenden in Höhe von max. 250 EUR pro Person, um die Abhängigkeit von Großspendern zu vermeiden.

Der Tempel ist jedoch bereits jetzt ein Meisterwerk. Kein Wunder, dass bereits um 9 Uhr morgens die Touristen Schlange stehen. Ein wenig beobachten wir das Treiben vor der Brücke zum Tempel. Es ist ein bekanntes Fotomotiv und so versucht jedes selbsternannte Insta Sternchen das perfekte Foto genau dort zu bekommen. Die Posen könnten dabei kaum unnatürlicher sein. So bewegen wir uns auch immer vorwärts! Währenddessen versucht auf der gegenüberliegenden Seite ein Herr in einem Wartehäuschen mittels Lautsprecherdurchsagen die Meute zum Weitergehen zu bewegen, dabei scheut er nicht davor auf sein gesamtes Sprachrepertoire zurückzugreifen. Das weiße Mädchen auf der Brücke, wird in Französisch, Italienisch und schlussendlich mit einem „Vamos, Vamos“ vorangetrieben. Sein Kollege auf der Treppe hilft ebenfalls mit dem Megafon nach, die beiden Herren gewinnen. Kurz überlegen wir, ob wir uns dies wirklich antuen möchten. Wir sind hier, was soll’s.

Auch wir stehen vor der Brücke und haben ein paar Sekunden, um die Architektur genauer anzuschauen. Die Brücke führt über nach Hilfe ringenden Händen, sie scheinen im Boden zu versinken, wir passieren die Hölle. Der Herr mit dem Megafon brüllt uns an „Go to heaven.“, durch das Eingangstor des Tempels betreten wir den Himmel. Im Inneren finden wir überraschend moderne Zeichnungen. Das hatten wir nicht erwartet. Pokémon, Star Wars, Jack Sparrow und weitere Filmcharaktere sind am unteren Ende der Wände zu entdecken – die Versuchungen, denen auf der Erde zu widerstehen ist. Richtung Decke verändert sich das Bild entsprechend des Himmels.

Den schlechten Einfluss der Medien, insbesondere der sozialen Netzwerke, auf die Menschheit können wir direkt am Ausgang beobachten. Ein junges Mädchen wirft sich im perfekten Outfit in Pose, ihr Freund vertreibt mit wilden Gestiken eine asiatische Familie. Auch hier die Jagd nach dem perfekten Insta Bild. Fraglich ist wie viel gutes Karma die Beiden mit nach Hause nehmen. Dominiks Laune sinkt merklich.

Außer dem weißen Tempel gibt es auch noch einen Golden zu sehen. Diesen betreten wir mit einer Gruppe von Mönchen, die sichtlich beeindruckt sind. Sie halten den Moment mit ihren Smartphones fest und erneut wundern wir uns über die Habseligkeiten der Klosterbewohner.

Die Tempeltour in Chiang Rai bleibt farbenfroh. Der blaue Tempel im Norden der Stadt ist unser nächstes Ziel. Eines der Sammel-TukTuks bringt uns dorthin. Das Gelände ist offen, zahlreiche Besucher streifen über den Platz, Essenstände locken am Rand. Sieht der Tempel von außen so aus, wie viele andere im Land – nur eben in blau – kreiert die Farbe im Inneren eine wirklich beeindruckende Tiefe. Trotz der vielen Besucher, ein besonderer Tempel.

Die nächsten Stunden nutzen wir, um die Stadt zu erkunden. Chiang Rai wirkt authentischer als Chaing Mai, ist aber bisher ebenfalls die verschlafenste asiatische Stadt unserer Reise. Es ist Sonntag, viele Geschäfte sind geschlossen. In einem veganen Restaurant werden wir fündig. Super lecker, aber nicht ganz so gut wie in Chaing Mai.

Für den Abend steht der goldene Glockenturm noch auf dem Programm. Um 19, 20, und 21 Uhr wird dieser beleuchtet und mit Musik untermalt. Er liegt gerade auf dem Weg zu unserem Abendessen, also warten wir die 10 Minuten bis zur vollen Stunde davor. Wir stehen in der ersten Reihe umringt von asiatischen Touristen. Die ersten Töne einer thailändischen Melodie ertönen aus den Boxen, der weiße Scheinwerfer wechselt auf rot, dann auf grün und dann auf blau. Fassungslos starren wir die Uhr an. Das ist alles? Irgendwie scheint es uns herablassend darüber zu schmunzeln, aber wir können nicht anders. Dezent ziehen wir uns aus der ersten Reihe zurück, so haben die Asiaten mehr Platz zum Filmen. Sie scheinen fasziniert und dokumentieren die gesamten 10 min Farbwechsel per Video. Ein Herr muss seinen Kameraarm bereits stützen, da dieser zu zittern beginnt. Schwer vorstellbar, dass man sich die gesamte Vorführung ein weiteres Mal zu Hause anschaut.

Wir kommen aber tatsächlich noch ein zweites Mal in den zweifelhaften Genuss. Unsere Suche nach einem Abendessen führt uns zunächst auf den wenig appetitlichen Nachtmarkt, bevor wir uns schlussendlich doch für den Straßenstand am Glockenturm entscheiden. Unser Essen wird pünktlich zu 20 Uhr serviert. Let the show begin.